Dr. Bildau, können Sie erklären, wie die Wechseljahre den Schlaf von Frauen beeinflussen? Gibt es typische Schlafprobleme, die in dieser Lebensphase auftreten?

Dr. Judith Bildau: Wir wissen schon lange, dass Frauen grundsätzlich schlechter schlafen als Männer. Sie haben zunächst einmal einen leichteren Schlaf. Das ist evolutionsbiologisch zu erklären: Frauen müssen schneller wach werden, wenn der Nachwuchs sie braucht und versorgt werden möchte. Das bedeutet natürlich auch, dass sie schneller durch Umgebungsgeräusche geweckt werden. Hinzu kommt, dass Frauen, stärker als Männer, abends und nachts in eine Art Kopf-Kino-Spirale hineingeraten. Sie machen sich dann Sorgen und Gedanken, spielen alle möglichen und unmöglichen Szenarien durch und finden nicht mehr zur Ruhe, geschweige denn in einen erholsamen Schlaf. Und schließlich wird die Schlafqualität auch sehr vom weiblichen Zyklus mitbestimmt. Je nach Hormonlevel und -schwankungen kann es leichter gelingen ein- und durchzuschlafen- oder eben nicht. Die Wechseljahre stellen hier noch einmal eine ganz besondere Zeit dar: Zwischen 40 und 60 Prozent aller perimenopausalen Frauen leiden unter schlechtem Schlaf. Sie können entweder nicht einschlafen, liegen nachts stundenlang wach oder wachen sehr früh auf. Der Grund dafür sind -das ist keine Überraschung- die hormonellen Veränderungen. Der Leidensdruck ist meist sehr hoch. Hinzu kommt, dass der ständige Schlafmangel auch langfristige körperliche Folgen haben kann, wie zum Beispiel Gewichtszunahme, Insulinresistenz und Bluthochdruck.

Viele Frauen sind in den Wechseljahren beruflich sehr aktiv. Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich für Sie in Bezug auf Schlaf und berufliche Leistungsfähigkeit?

Dr. Judith Bildau: Ich erlebe jeden Tag, wie verzweifelt Frauen in den Wechseljahren sein können, weil sie nicht mehr gut und nicht mehr ausreichend schlafen. Sie fühlen sich nicht mehr leistungsfähig, können sich schlechter konzentrieren und haben keine Energie mehr. Zusätzlich zu der Schlafproblematik kommen häufig noch andere Symptome der Wechseljahre. Das können zum Beispiel Hitzewallungen, Knochen- und Gelenkschmerzen und Depressionen sein. Wie eine kürzlich erschienene Untersuchung zeigt, überlegen deshalb 19,4% aller Frauen über 55 Jahre ihren Beruf aufzugeben. Das ist eine erschreckende Zahl.

Was sind Ihre Top-Tipps für Frauen in den Wechseljahren, um ihren Schlaf zu verbessern und ihre berufliche Leistungsfähigkeit zu erhalten oder sogar zu steigern?

Dr. Judith Bildau: Ich empfehle allen Frauen, sich eine Spezialistin oder einen Spezialisten zu suchen, um sich in dieser aufregenden Zeit bestmöglich begleiten zu lassen. Es gibt eine Reihe an Puzzleteilen, die nun zusammengesetzt werden sollten, damit Frauen in der Lebensmitte voll in ihrer Kraft stehen. Das beginnt bei einer bewussten und ausgewählten Ernährungsweise, gezielter körperlicher Aktivität mit besonderem Augenmerk auf dem Muskelaufbau, der ausreichenden Versorgung mit Mikronährstoffen und möglicherweise einer individuell passenden Hormonersatztherapie.

Inwieweit beeinflussen Lebensstil und Ernährung den Schlaf während der Wechseljahre? Gibt es spezielle Empfehlungen, die Sie Frauen in dieser Lebensphase geben würden?

Dr. Judith Bildau: Sowohl der Lebensstil als auch die Ernährung haben nun einen ganz großen Einfluss auf die Schlafqualität während der Wechseljahre. Viele Frauen vertragen nun zum Beispiel keinen Alkohol mehr. Möglicherweise schlafen sie zwar zunächst schneller ein, der wichtige und erholsame REM-Schlaf wird aber gestört. Deshalb empfehle ich meinen Patientinnen, auf das Gläschen Wein am Abend zu verzichten. Nach dem Mittagessen bitte keinen Kaffee mehr. Das Abendessen sollte nicht zu schwer und keinesfalls zu fettig sein, hier können bewusst Mahlzeiten verzehrt werden, die Phytohormone enthalten. So wichtig Sport nun ist, am Abend sollten keine intensiven Sporteinheiten durchgeführt werden. Ich empfehle stattdessen auf Yoga, Pilates und Entspannungsübungen zu setzen. Vielen Frauen hilft zudem ein sich immer wiederholendes Abendritual. So wissen Körper und Geist: Jetzt ist es an der Zeit, runterzufahren.

Welche medizinischen oder alternativen Behandlungen empfehlen Sie häufig Frauen, die während der Wechseljahre mit Schlafproblemen zu kämpfen haben?

Dr. Judith Bildau: Neben der Anpassung von Lebensstil und Ernährung behandele ich meine Patientinnen gezielt mit Mikronährstoffen, Phytopharmaka und bioidentischen Hormonen. Ich substituiere gezielt Magnesium, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren. Außerdem arbeite ich mit Baldrian, Melisse und Passionsblume. Ich empfehle Frauen außerdem, ihren sinkenden Hormonspiegel mit körpereigenen Hormonen auszugleichen. Hier verordne ich in der Regel ein transdermales Estradiol, mikronisiertes Progesteron, das bei Schlafstörungen vorwiegend oral eingenommen werden sollte und gegebenenfalls zusätzlich Melatonin.

Können Sie uns ein oder zwei Fallbeispiele aus Ihrer Praxis nennen, die zeigen, wie Sie Frauen erfolgreich durch Schlafprobleme in den Wechseljahren geholfen haben?

Dr. Judith Bildau: Ich könnte hier unzählige Fallbeispiele nennen. Mehr als die Hälfte der Frauen, die mich wegen Wechseljahresbeschwerden aufsuchen, leiden unter, zum Teil massiven, Schlafstörungen. Sie sind völlig ausgelaugt und oft regelrecht verzweifelt. Sie haben kaum noch Kraft, ihren Alltag zu bewältigen, geschweige denn zusätzlich in ihre Gesundheit zu investieren. An Sport ist nicht zu denken. Sie haben häufig schon alles Mögliche ausprobiert. Diesen Frauen hilft in der Regel eine bioidentische, körpereigene Hormonsubstitution ganz hervorragend. Ich erinnere mich an eine Patientin, die beim nächsten Termin vor Erleichterung geweint hat. Sie konnte endlich wieder schlafen und fühlte sich wie ein komplett neuer Mensch.

Gibt es Entwicklungen oder Forschungsergebnisse im Bereich Schlaf und Wechseljahre die Sie momentan als besonders spannend oder vielversprechend empfinden?

Dr. Judith Bildau: Leider gab es in den letzten Jahrzehnten recht wenig Forschung im Bereich der Frauengesundheit. Langsam verändert sich das, aber es ist noch viel zu tun. Wir wissen zum Beispiel immer noch nicht so ganz genau, was nun tatsächlich die Schlafstörungen in den Wechseljahren auslöst. Ja, es ist die hormonelle Umstellung, die Veränderung der Sexualhormone Östrogen und Progesteron, aber auch des Melatonins, aber welcher Faktor da die größte Rolle spielt, ist noch nicht ganz klar. Es fehlt also noch an der Ursachenforschung, Ich hoffe, dass hier zunächst einmal grundlegend etwas passiert!

Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie Frauen, die in den Wechseljahren sind und Schlafprobleme haben, mit auf den Weg geben möchten?

Dr. Judith Bildau: Bitte holen Sie sich Hilfe! Keine Frau muss unter Schlafstörungen leiden. Es gibt, besonders für Frauen in den Wechseljahren, effektive Therapien, die sicher und individuell dosiert werden können.

Gibt es abschließende Gedanken oder zusätzliche Ressourcen, die Sie unseren Zuhörern und Lesern empfehlen möchten?

Dr. Judith Bildau: Nach wie vor ist es so, dass Frauengesundheit wie ein Nischenthema behandelt wird und allgemein die Beschwerden von Frauen nicht wirklich ernstgenommen werden. Ich wünsche mir sehr, dass sich das ändert! Umso wichtiger ist es, dass Frauen den Mut haben, ihre Beschwerden in Worte zu fassen und kompetente Hilfe einzufordern.